Warum Singen glücklich macht
Der Autor Gunter Kreutz scheint sich sicher zu sein. Sie finden unten einige Ausschnitte aus dem Buch. Er stellt sieben Thesen zu Wirkungen des Singens auf. Singen Sie schon?
Warum singen wir so gerne miteinander? Sind Menschen glücklicher, die über Jahre und Jahrzehnte in einen Chor gehen? Ist Singen vielleicht sogar gesund? Singen – und zwar nicht nur an Geburtstagen oder zu Weihnachten – ist weder aus der Evolution des Menschen noch aus seiner Entwicklung vom Säugling bis ins hohe Alter wegzudenken. Mehr noch: Gemeinsames Singen steigert das Wohlbefinden, stärkt Abwehrkräfte und Atmung, schützt vor Stimmproblemen und verbindet uns über alle Generationen und Lebenslagen hinweg miteinander.
Singen im Chor ist also nicht nur etwas für Überzeugungstäter, sondern kann helfen, wenn es uns einmal schlecht geht. So können Menschen mit gesundheitlichen Problemen das Singen als rezeptfreie und nebenwirkungsarme Therapie mit Spaßfaktor entdecken. Dieses Buch bringt die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Psychologie und Hirnforschung auf den Punkt und verrät, wie und warum Singen glücklich macht.
Auszüge
„… Viele scheuen sich, ausser zu Weihnachten oder zu Geburtstagen zu singen. Man überlässt es lieber anderen. Haben diese Menschen etwas verpasst? Ja und nein. Denn wer mit wenig oder ganz ohne Singen glücklich und zufrieden ist, den sollte man nicht vom Gegenteil überzeugen. Dennoch hat fast jeder Mensch, der über eine Stimme verfügt, auch eine Singstimme. Sie ist ein unverrückbarer Teil der Kindheit und hat damit unweigerlich einen Ort in der Biografie. Wie kommt es nun, dass so viele Menschen diese Erfahrungen aus ihrem Leben fast völlig ausblenden? Denkbar ist, dass wir im Laufe der Entwicklung das Interesse am Singen allmählich verlieren, sobald wir das Sprechen erlernt haben. Stecken Erwachsene, die singen, folglich noch in ihrer frühen Kindheit? Doch ganz so einfach ist es nun auch wieder nicht. Die Liebe zum Singen begleitet uns das ganze Leben, auch wenn wir nicht immer begeistert reagieren, wenn jemand in der Umgebung singt. Das ist schon ein wenig paradox: Wir spüren deutlich, wie viel Energie, Emotionalität und Ausdruckskraft im Singen steckt, identifizieren und mit grossen Sängerinnen und Sängern, trauen aber der eigenen Singstimme eher wenig zu.“ S. 12
„Castingshows führen die Paradoxie des Singens besonders deutlich vor Augen. Nun gab es immer schon Talentwettbewerbe. Der Sängerstreit ist ein Topos der Opernliteratur und aus einigen Ethnien wird berichtet, dass über das Singen auch ernsthafte Konflikte ausgefochten werden. Der mediale Erfolg von Castingshows kommt also nicht von ungefähr. Sie wirken auch auf das Musikleben zurück. Positiv ist beispielsweise zu vermelden, dass sich Kinder und Jugendliche verstärkt für Gesangsunterricht und Stimmbildung interessieren, sehr zu Freude der Musikschulen. Und damit steigt die Chance, dass tatsächlich weniger Gesangstalente unentdeckt bleiben. Der Anreiz, durch das Singen zu gesellschaftlicher Anerkennung und neben der Ehre eventuell auch zu viel Geld zu kommen, soll die notwendige intrinsische Motivation, sich einen solchen Wettbewerb zu stellen, nicht schmälern. Der Untergang der Gesangskultur steht also nicht bevor – auch dank solcher Wettbewerbe. Menschen, die begeistert singen, können offenkundig viel Gutes bewirken.“ S.18
„Wie kann es sein, dass viele Menschen ihrer Singstimme misstrauen uns sich wenig berufen fühlen, ihre Stimmbänder ausschließlich zum Sprechen zu verwenden. Fehlt diesen Menschen zum Singen schlicht die Übung, das Talent, die Motivation oder fehlt von allem ein bisschen?
Eine naheliegende Vermutung wäre, dass manche Leute Tonhöhen nicht richtig wahrnehmen und folglich auch nicht singen können. Eine ganze Reihe von Studien über das Treffe und Nicht-Treffen von Tonhöhen bei unterschiedlich geübten Sängerinnen und Sängern findet sich beispielsweise in der Fachzeitschrift Journal of Voice, einem Flaggschiff unter den wissenschaftlichen Journalen zu Stimme und zum Singen. Forscher schätzen, dass in der erwachsenen Bevölkerung etwa 10 bis 15 Prozent Probleme damit haben, Tonhöhen zu treffen (Granot et al., 2013). Bei diesen Menschen hilft selbst ein gezieltes Training zur Verbesserung der Tonhöhenwahrnehmung nicht weiter, zumindest kurzfristig gesehen (Zarate et al., 2010). … Da überrascht es wenig, dass weit mehr als die Hälfte jener Personen, denen es auf Anhieb nicht gelingt, einen Ton zu treffen, es lediglich an Übung und Erfahrung im Singen selbst mangelt (Murry, 1990).“ S.47
„Peter Pfordresher, ein Psychologe an der Universität Buffalo in den USA, unternahm eine ganze Reihe faszinierender Studien, um Sängern, die Tonhöhen nicht gut treffen können, von einer anderen Seite auf die Spur zu kommen. Dazu analysierte er de Gesänge von ungeübten Personen mit akustischen Verfahren und suchte nach Hinweisen darauf, welche Merkmale gute und schlechte Sänger genau auszeichnen. Der Vorteil seiner Herangehensweise ist, den Vorgang des Singens quasi vom anderen Ende her zu betrachten, denn die akustische Information ist wie ein ferner Fingerabdruck der Bewegungen des Vokalapparats und damit der perzeptuell-motorischen Vorgänge. Zunächst konnte er in mehreren Studien nachweisen, dass das zentrale Problem tatsächlich nicht in der Wahrnehmung und der Speicherung von Tonhöhen zu suchen ist, sondern in der Umsetzung von Wahrnehmung in Bewegung liegt. Genau genommen bedeutet das Nachsingen von Melodien, zu entschlüsseln, wie aus einer inneren Vorstellung Bewegungen so auszuführen sind, dass sie mit der wahrgenommen Melodie übereinstimmen. Pfordresher vermutet ein perzeptuell-motorisches Übertragungsproblem als Hauptgrund für mangelnde Singfähigkeit (Pfordresher & Brown, 2007). … Demnach spielt das auditive Vorstellungsvermögen ebenso eine Rolle (Pfordresher & Halpern, 2013) wie die Tatsache, ob es sich bei der Muttersprache einer Person um eine sogenannte tonale Sprache handelt. Tonale Sprachen, etwa das chinesische Mandarin, zeichnen sich dadurch aus, dass sich Bedeutungen von Wörtern durch di Tonhöhen unterscheiden, mit denen sie ausgesprochen werden. Aus tonalen Sprachen werden zwar nicht automatisch Gesänge, doch unterstützen sie offenkundig die allgemeine Singfähigkeit (Pfordresher & Brown, 2009). Interessant ist, dass selbst gesanglich ungeübte Probanden es leichter fällt, Melodien eines Liedes zu imitieren als die Melodie einer Sprachkontur. Gleichzeitig gibt es allerdings einen Zusammenhang dahingehend, dass die individuelle Qualität der Gesangsimitation jene der Sprachimitation vohersagt (mantell & Pfordresher, 2013).“ S.50
„Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, de heutige Realität des Singens in der Grundschule ohne einen kursorischen Blick in die jüngere Zeitgeschichte zu verstehen. Hier zeichen sich – für meine Begriffe unmissverständlich – die Spuren von historischen Bildungsreformen nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese erscheinen übrigens nirgends so deutlich wie ausgerechnet im Musikunterricht. Verständlich, dass es damals Bemühungen gab, fehlgeleiteten und zerstörerischen politischen Ideologien wie dem Rassenwahn der Nationalsozialisten den kulturellen Nährboden zu entziehen. Lieder und Märsche waren untrüglich Teil von Propaganda und geeignetes Mittel zum Schüren von Hass und Ressentiments.“ S.65
Sieben Thesen von Kreutz
- Singen verbessert die Stimmung und steigert das allgemeine Wohlbefinden.
- Singen entspannt und mindert körperlichen und psychischen Stress.
- Singen fördert kognitive Leistungen.
- Singen fördert die psychische und körperliche Gesundheit.
- Singen fördert Spiritualität und sorgt für tiefe seelische Erfahrungen.
- Singen fördert ein positives Selbstbild und wirkt gegen psychosoziale Probleme.
- Singen fördert Gefühle sozialer Verbundenheit.
Zusammengestellt von Sabrina Hintermann
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